Die Berliner Solaranlagenverordnung - Gibt es Alternativen zur staatlich vorgeschriebenen Nutzung von Solarenergie ?

Dipl.-Ing. Detlef Loy

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie
Am Köllnischen Park 3, 10173 Berlin, tel. 030 / 2471-1054, fax 030 / 2471-1057

Vortrag auf dem Solarforum '96 in Neckarsulm 9./10.7.1996  

Ausgangslage

Mehrere Gründe haben in den letzten Jahren in Berlin dazu beigetragen, über neue Ansätze zur Stärkung der thermischen Solarenergienutzung nachzudenken:

 
Gesetzesinitiative

Vor diesem Hintergrund haben sich die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU im Berliner Abgeordnetenhaus seit 1994 mit der Frage beschäftigt, ob eine verpflichtende Regelung zum Einbau solarthermischer Anlagen für die Warmwasserbereitung bei Neubauten ein tauglicher Beitrag zur Minderung der CO2-Emissionen sein könnte. Dabei beschränkte sich die Betrachtung anfänglich lediglich auf den Umstand, daß bei der Mehrzahl von Gebäuden mit einem entsprechenden Warmwasserbedarf der ergänzende Einbau von Kollektoren technisch und architektonisch keine unüberwindbare Hürde darstellt. Als weiterer Impuls für eine dringliche Behandlung dieser Thematik standen die gewaltigen Neubauplanungen im Raum, die in Berlin innerhalb der kommenden 20 Jahre realisiert werden sollten.

Als Rechtsgrundlage schied eine Einbringung in die bestehende Landesbauordnung aufgrund der Zielstellung des Bauordnungsrechts von vornherein aus. Auch die Verankerung bestimmter Versorgungstechniken in Bebauungsplänen kann nur im eng begründeten Einzelfall (Immissionsschutz) erfolgen. Auf der Ebene der Bundesgesetzgebung (z.B. Energieeinsparungsgesetz) ist die Thematik nicht abgedeckt, es liegt also durchaus in der Kompetenz der Länder, eine eigene gesetzliche Grundlage für den Kollektoreinbau zu schaffen. In Berlin bot sich mit dem Berliner Energiespargesetz ein bestehendes rechtliches Rahmenwerk für eine gesetzliche Verankerung an.

Nach Einbringung einer Gesetzesnovelle in das Abgeordnetenhaus im Frühjahr 1995 und ausführlicher Debatte in den Ausschüssen wurde am 21.9.96 mit breiter Zustimmung folgende Ergänzung des Berliner Energiespargesetzes beschlossen:

Obgleich sowohl die 60 %-Deckungsquote wie auch der Passus "zentrale Warmwasserbereitung" von den beteiligten Verwaltungen kritisch bewertet wurde, hielten die Koalitionsfraktionen an diesen Formulierungen fest. Bedeutsam ist dies insofern, als mittlerweile vielfach die Befürchtung geäußert wurde, die gesetzliche Anforderung könne durch ein bewußtes Ausweichen auf eine dezentrale Warmwasserbereitung (z.B. elektrische Durchlauferhitzer) unterlaufen werden.
 

Verordnungsentwurf

Bei der Formulierung der auf dem gesetzlichen Wortlaut basierenden Verordnung mußten sich die Senatsverwaltungen an relativ enge Vorgaben halten. So können Ausnahmen beispielsweise nicht so definiert werden, daß die Anforderung des Regeleinbaus eindeutig verletzt wird (z.B. durch pauschales Ausklammern fernwärmeversorgter Gebiete). Zum anderen wurde insbesondere von der Bauverwaltung der Anspruch erhoben, die Kontrollmechanismen auf ein Minimum zu reduzieren, um nicht zusätzliches Personal einbinden zu müssen. Damit mußten alle Überlegungen entfallen, durch eine gesonderte Härtefallregelung Einzelfallprüfungen (z.B. bei einem unvertretbar hohen Kostenaufwand oder ökologisch vergleichbaren Alternativlösungen) zuzulassen.

Nach mehreren Überarbeitungsphasen beschränkt sich deshalb der Verordnungsentwurf im Kern auf eine Darstellung der Zielbereiche, der Definition von Kenngrößen (Deckungsquote/Warmwasserbedarf) und auf die Voraussetzungen einzelner Ausnahmen. Ein dokumentierter Nachweis des Bauherren wird nur für die Gründe der Freistellung erwartet, ansonsten wird davon ausgegangen, daß den Anforderungen der Solaranlagenverordnungen mit Hinweis auf die angedrohten Ordnungsstrafen entsprochen wird.

Die Gliederung des Verordnungsentwurfs enthält folgende Paragraphen:
 

Die hohen Vorgaben des Gesetzes (60 % Deckungsquote) wurden durch Auswahl der Bezugswerte für den Warmwasserbedarf (minimale Annahmen für den Verbrauch) und die Definition des solaren Deckungsanteils (Speicherverluste nicht berücksichtigt) etwas abgeschwächt.

 
Kritik

Der von den Zusatzkosten und vom technischen Aufwand gesehen relativ geringfügige staatliche Eingriff in das Baugeschehen hat heftige Gegenreaktionen bei einigen betroffenen Verbänden ausgelöst.

Selbstkritisch muß bemerkt werden, daß das Gesetz die Möglichkeit ausklammert, in größerem Rahmen alternative Maßnahmen zur CO2-Redzierung als ökologisch gleichwertig anzuerkennen. Da im Ursprung nur die Bevorzugung von Solarenergie im Vordergrund stand, ergibt sich eine gewisse Starrheit gegenüber anderen technischen Lösungen, die bei eingeschränkter Nutzungsmöglichkeit von Solarenergie sogar einen deutlichen Vorzug genießen könnten. Zum anderen ist nicht von der Hand zu weisen, daß architektonische Möglichkeiten der Dachgestaltung genutzt werden könnten, um Kollektoren (fast) vollständig von Gebäuden zu verbannen. Um solches zu verhindern, könnte eine Ablösungsregelung bedacht werden, die analog zur verbindlichen Schaffung von PKW-Stellplätzen eine "Ablaßzahlung" bei Nichteinhaltung vorsieht. Die Einnahmen ließen sich dann u.U. sogar zur Förderung von Solaranlagen an anderer Stelle verwenden.

Die Einwände insbesondere der Wohungswirtschaft zielen jedoch vor allem auf die Kostenbelastung. Nach ihrer Ansicht bedeutet der Einbau von Solarkollektoren eine erhebliche zusätzliche Belastung für die Mieter. Argumente, daß verordnete Wärmeschutzmaßnahmen bereits vergleichbare Zusatzkosten bei ähnlicher Energiesparwirkung hervorrufen und daß nur ein Quadratmeter zusätzlicher Wohnraum gleichhohe Kosten wie eine Solaranlage pro Wohneinheit verursacht, konnten diese Bedenken bisher nicht entkräften.

Sicherlich ist nicht von der Hand zu weisen, daß sich insbesondere der geförderte Wohnungsbau aufgrund staatlicher Mittelknappheit derzeit in der Krise befindet und sich einem erhöhten Kostendruck ausgesetzt sieht. Aus diesem Grund verstärkt sich auch bei den Wohnungsbauunternehmen das Interesse, die Wärmeversorgung ihrer Gebäude an externe Investoren und Betreiber auszulagern. In diesen vertraglichen Zusammenhang, der die Wohnungsunternehmen von wesentlichen Investitionen entlastet, könnte auch die thermische Solaranlage mit eingebunden werden. Bei der gegenwärtigen Spanne von Energiepreisen im Wärmemarkt wären die (erhöhten) Kosten für die solare Wärme in der Gesamtrechung "versteckt". Das Berliner Gasversorgungsunternehmen GASAG bietet bereits heute derartige Paketlösungen als Wärme-Direkt-Service an.

Der Verordnungsentwurf wurde im November 1995 und im April 1996 in einem breiteren öffentlichen Rahmen erörtert. Die Diskussionen werden vermutlich besonders deshalb so heftig geführt, weil mit dem Berliner Vorstoß ein Präzedenzfall zumindest für Deutschland geschaffen wird. Als erfreuliche Begleiterscheinung ist zu vermerken, daß erstmals ernsthaft in weiten Kreisen über die Notwendigkeit einer Solarnutzung debatiert wird. Auf Forschungs- und Herstellerseite werden außerdem gemeinsam Möglichkeiten erkundet, Solaranlagen durch fertigungstechnische Verbesserungen zu verbilligen.
 

Alternativen ?

Der Berliner Ansatz stellt eine Möglichkeit dar, einer technisch ausgereiften Technologie, die zur CO2-Reduzierung beitragen kann, zum Marktdurchbruch zu verhelfen, auch wenn die Erzeugungskosten für die Wärmebereitstellung gegenwärtig noch nicht mit konventionellen Alternativen konkurrieren können. Der Rückgriff auf das staatliche Ordnungsrecht ist insofern rein umweltpolitisch begründet und vergleichbar mit ähnlichen Vorgaben zum Beispiel im Bereich des Verkehrs (Pflicht zum Katalysatoreinbau).

Die umweltpolitische Notwendigkeit (Klimaschutz) in all ihrer Dringlichkeit ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbestritten. Kontrovers ist vor allen Dingen, ob durch Vorschreiben einer bestimmten Versorgungsart die Handlungsfreiheit zu eng begrenzt wird und die Zielerreichung durch andere Maßnahmen kostengünstiger erreicht werden könnte. Dem ist entgegenzuhalten, daß es vornehmste Aufgabe des Staates ist, Vorsorgemaßnahmen zu treffen, und ein bewußtes Eingreifen in einen ohnehin stark reglementierten Energiemarkt keine Aufgabe des Prinzips einer liberalen Wirtschaftspolitik bedeutet.

Vor dem Hintergrund der nur langsam zur Entfaltung kommenden Nutzung von Solarenergie und der politischen Vorgabe, regenerative Energieträger in relativ kurzer Zeit deutlich stärker an der Energiebereitstellung zu beteiligen, ist ein Handlungsbedarf nicht wegzuleugnen. Ob eine gesetzliche Regelung oder eine andere verbindliche Form zu diesem Ziel am besten beiträgt, wird immer auch von weiteren Faktoren abhängig sein.

Begrüßenswert wäre es natürlich, wenn den Anforderungen des Klimaschutzes im Baubereich durch freiwillige Leistungen entsprochen würde. Die Auseinandersetzungen zur letzten Novellierung der Wärmeschutzverordnung und die aktuelle Baupraxis zeigen jedoch, daß Belange des Umweltschutzes weitgehend als störender Kostenfaktor betrachtet werden und keine hohe Priorität besitzen. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß die weitgehende Trennung von Bauherren (Investoren) und Nutzern (Energiezahlern), die systematische Ausschöpfung von Energiesparpotentialen paralysiert.

Ernster zu nehmen ist die Frage der Wahlmöglichkeiten zur Zielerreichung. Wie dargestellt, ist die Berliner Solaranlagenverordnung in diesem Punkt eher restriktiv. Zugespitzt wird die Kontroverse u.a. an der Solar-Alternative "Dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung", die bei guter technischer Auslegung in einer ökologischen Gesamtbetrachtung durchaus zu vergleichbaren Ergebnissen kommen kann. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Ansatz der saarländischen Bauordnung, der von einem ökologischen Kanon unterschiedlicher Leistungen ausgeht, die der Bauherr individuell entsprechend einer zu erreichenden Punktezahl zusammenstellen kann. Kritisch ist hierbei allerdings zu hinterfragen, ob aus dieser Zusammenstellung nicht automatisch eher kostenungünstige Maßnahmen, wie die Nutzung thermischer Solarenergie, herausfallen. Im übrigen bestehen ähnliche Vorschläge, die auf eine Zielformulierung hinauslaufen, wobei für den Weg keine näherern Vorgaben getroffen werden sollen, auch für den Neuentwurf einer Wärmeschutzverordnung.

Es scheint also grundsätzlich nicht ausgeschlossen, daß auch durch andere Instrumente dem übergeordneten Ziel einer drastischen Reduzierung der CO2-Emissionen im Wärmemarkt entsprochen werden kann. Vor dem Hintergrund der fortdauernden Kostenschere zwischen solarer und konventioneller Wärmebereitstellung und zurückgehender Subventionsbereitschaft werden allerdings voraussichtlich in absehbarer Zeit in allen Bundesländern Gedanken entwickelt werden, wie verbindliche Regelungen zur Nutzung von Solarenergie eingeführt werden können.

 
Perspektiven

Von Seiten des Senators für Umweltschutz ist wiederholt auf die Einhaltung des parlamentarischen Willens hingewiesen worden. Die Berliner Solaranlagenverordnung ist zudem auch als Essential in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD erwähnt. Trotzdem gibt es auch innerhalb der Bau- und der Finanzverwaltung noch Vorbehalte, die zum Teil die Bedenken bei der Bauwirtschaft reflektieren. Nach derzeitigem Stand soll die Solaranlagenverordnung nun im Herbst 1996 vom Senat verabschiedet werden.  

Literatur:

D. Clausnitzer, A. Gregorzewski, H. Murschall, K. Traube; Berliner Solaranlagen-Verordnung, Entwurf der Verordnung, Hintergrundbericht und Rechtsgutachten (Bremer Energie-Institut), September 1995

 Clemens Arzt, Uwe Graupeter; Gutachten zur Gesetzgebungskompetenz des Berliner Gesetzgebers für eine Regelung zum Einbau von thermischen Solaranlagen in Berliner Neubauten, 1995

 A. Gregorzewski; Stellungnahme zur KWK-Regelung in der Berliner Solaranlagen-Verordnung, Bremen (Bremer Energie-Institut), Oktober 1995

 M. Norbert Fisch; Kosten und Energieerträge von Anlagen zur solar unterstützten Warmwasserbereitung, Untersuchung in Verbindung mit der Berliner Solaranlagenverordnung, Stuttgart (Institut für Thermodynamik und Wäremtechnik der Universität Stuttgart), November 1995

Zurück